Antisemitismus

Stellungsnahme des VJSNord Verband Jüdischer Studierende zum antisemitischen Übergriff vor der Synagoge

Nachfolgend dokumentiert die

Stellungsnahme des VJSNord Verband Jüdischer Studierende zum antisemitischen Übergriff vor der Synagoge

Bezug nehmend auf den am 20.11.2020 erschienenen Artikel im Göttinger Tageblatt möchten wir, die von dem antisemitischen Übergriff betroffenen Studierenden, unsere Gedanken dazu mitteilen. Das GT beschreibt in Ihrem Artikel den Vorfall am Sonntag 15.11.20. Passant_innen fanden vor der Synagoge in Göttingen antisemitische Drohungen. Es handelte sich dabei um mehrere mit Buntstiften gemalte grosse Hakenkreuze und eine Drohbotschaft. Im angrenzendem Gemeindehaus waren währenddessen Mitglieder des jüdischen Studierendenverbands VJSNord. Im Rahmen einer überregionalen gemeinnützigen Aktion, dem Mitzvah Day, waren sie dabei, Challah für die Tafel zu backen.

Die Polizei wurde alarmiert und nahm daraufhin die Ermittlungen auf. Die Tat wurde auch in den folgenden Tagen von Mitglieder_innen des Verband Jüdischer Studierender Nord, VJSNord, über Social Media öffentlich gemacht. Das Sichtbarmachen alltäglicher antisemitischer Handlungen in der Gesellschaft ist unabhängig vom individuellen Tatbestand wichtig. Antisemitische Übergriffe sind keine Seltenheit – im Gegenteil, sie wiederholen sich mit erschreckender Regelmäßigkeit. Aus Angst vor Nachahmungstäter_innen werden diese nur selten gemeldet. So kam es z.B in Göttingen bereits im Sommer des selben Jahres zu Drohungen gegenüber Synagogenbesucher_innen. Ebenso kam es zu Anfeindungen gegenüber Menschen, die sich in Göttingen mit Kippah oder jüdischen Symbolen im öffentlichen Raum bewegten.

Im Artikel des Göttinger Tagblatts vom 20.11 steht, die Staatsschützer_innen der Göttinger Polizei vom 4. Fachkommissariat seien zum Schluss gekommen, dass es sich beim jüngsten Übergriff nicht um einen antisemitischen Vorfall handele. Die Sprecherin der Polizei Jasmin Kaatz meint dazu “Der 55-jährige hat nach vorliegenden Erkenntnissen keine antisemitischen Einstellungen. Es gilt als sicher, dass die Motive seines Handelns auf einer psychischen Erkrankung und einer daraus resultierenden Verhaltensstörung beruht. Von einer ideologischen Verwendung im Sinne einer rechtsgerichteten Gesinnung sei wegen der geführten Ermittlungen nicht auszugehen.” Anschließend folgt im Artikel eine Auflistung von antisemitischen Straftaten und der Absatz endet mit der Aussage “Für 2020 sei bislang keine steigende Tendenz zu erkennen. Bei den Straftaten handele es sich hauptsächlich um Volksverhetzung, Gewaltdelikte gab es keine.” Diese Aussage erstaunt und hat wenig Wahrheitsgehalt. Man denke an die Angriffe in Halle, Hanau und Hamburg und vergegenwärtige sich den grassierenden Antisemitismus gerade unter Corona Leugner_innen auch in Göttingen. Sichtbar ist auch das Erstarken rechtsradikaler Strukturen rund um Göttingen.
Wir sind als jüdische Menschen schockiert und wütend über diese Aussagen. An eine Synagoge gerichtete Hakenkreuze sind immer antisemitische Taten. Auch psychisch Beeinträchtigte können eine antisemitische Einstellung haben. Deutlich wird sichtbar, dass die Göttinger Polizei Straftaten nur als Antisemitismus deklariert, wenn diese dem rechten Extrem entspringen. Das ist ein Trugschluss. Antisemitismus kommt überall vor – rechts wie links. Er zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten. Antisemitismus ist eine strukturelle Form der Unterdrückung, das bedeutet auch dass Antisemitismus jederzeit auftauchen kann und weit verbreitet ist, er muss nicht von Menschen mit rechter Ideologie kommen.
Der Fall vor der Göttinger Synagoge zeigt dies sehr klar, denn die Bilder die der Mensch im Kopf hatte entstanden ja nicht im luftleeren Raum. Sie sind Abbild einer von Antisemitismus durchtränkten Gesellschaft. Solche Übergriffe sind beängstigend. Dass die Polizei, die uns und die Synagoge schützen sollte dies verharmlost finden wir schockierend.

Wir kritisieren als Betroffene und Mitglieder_innen des VJSNord die Aussagen der Göttinger Polizeibeamt_innen. Die Berichterstattung des GT war einseitig und die Redaktion hat die Aussagen der Polizei ungeprüft übernommen.

Antisemitische Übergriffe als solche anzuerkennen und sich entschieden dagegen zu positionieren ist ein erster Schritt, um den alltäglichen Antisemitismus aufzudecken. Wir können nicht warten bis auf Drohbriefe Taten folgen. Die Geschichte zeigt dass es dann oft schon zu spät ist.

Der VJSNord